28. Februar 2017 | Stephan R. Göthel

Im Rechts- und Wirtschaftsleben begegnen uns hin und wieder Begriffe, von deren Bedeutung wir nur eine unbestimmte Ahnung haben. Vielfach werden zudem Begriffe schlicht verwechselt. In unserer unregelmäßig erscheinenden Serie „Was ist eigentlich…?“ wollen wir hier ein bisschen Licht ins Dunkel bringen.

Ausgangspunkt: Der ordnungsgemäß bestellte Geschäftsführer

Jede GmbH muss von Gesetzes wegen mindestens einen Geschäftsführer haben. Der Geschäftsführer erhält seine Stellung als Organ der Gesellschaft durch einen formalen Bestellungsakt.

Die Bestellung eines Geschäftsführers erfolgt regelmäßig durch Beschluss der Gesellschafter und ist zwingend zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Von der organschaftlichen Bestellung zu trennen ist das Anstellungsverhältnis des Geschäftsführers zur Gesellschaft, das durch einen Dienstvertrag begründet wird. Der ordnungsgemäß bestellte Geschäftsführer vertritt die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich und führt ihre Geschäfte. Dabei hat er die „Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden“.

Voraussetzungen der faktischen Geschäftsführung

In der Praxis haben wir es allerdings nicht selten mit Fällen zu tun, in denen die Geschäfte einer Gesellschaft nicht (nur) durch den oder die ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer gelenkt werden, sondern (auch) durch im Hintergrund agierende Personen, die ihrerseits keine organschaftliche Geschäftsführerstellung innehaben. Solche Personen werden als faktische Geschäftsführer bezeichnet. Die rechtliche Figur des faktischen Geschäftsführers ist gesetzlich nicht definiert. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes lässt sich eine Person dann als faktischer Geschäftsführer qualifizieren, wenn sie zwar entweder amtsunfähig ist und/oder nicht wirksam als Geschäftsführer bestellt wurde, durch ihr konkretes Verhalten das Amt eines Geschäftsführers aber im Außenverhältnis tatsächlich ausübt und damit die Geschicke der Gesellschaft nachhaltig prägt.

Als Daumenregel kann gelten, dass dann von einer faktischen Geschäftsführung auszugehen ist, wenn eine Person von den folgenden klassischen Merkmalen des Kernbereichs der Geschäftsführung mindestens sechs erfüllt:

  • Bestimmung der Unternehmenspolitik
  • Bestimmung der Unternehmensorganisation
  • Einstellung von Mitarbeitern
  • Gestaltung der Geschäftsbeziehungen zu Vertragspartnern
  • Verhandlung mit Kreditgebern
  • Eine dem Geschäftsführergehalt entsprechende Vergütung
  • Entscheidung der Steuerangelegenheiten
  • Steuerung der Buchhaltung

Diese „Formel“ kann eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls allerdings nicht ersetzen, zumal in der Praxis weniger die eindeutigen Sachverhalte (d.h. völlig passive Haltung oder nach außen wirkendes Verhalten), sondern meist die Grenzfälle problematisch sind.

Folgen

Der faktische Geschäftsführer muss sich grundsätzlich wie ein echter Geschäftsführer behandeln lassen und unterliegt demnach im Wesentlichen den gleichen Pflichten wie ein ordnungsgemäß bestellter Geschäftsführer. Wird der faktische Geschäftsführer diesen Anforderungen nicht gerecht, haftet er – wie ein echter Geschäftsführer – der Gesellschaft gegenüber für den entstandenen Schaden persönlich und unbeschränkt. Über diese Haftung gegenüber der Gesellschaft hinaus kann der faktische Geschäftsführer aus vielfältigen Gründen von Dritten in Anspruch genommen werden. Denkbar ist beispielsweise eine Inanspruchnahme durch Gesellschaftsgläubiger wegen Insolvenzverschleppung, eine Haftung wegen der Nichtabführung von Sozialabgaben oder die Inanspruchnahme infolge der Verletzung steuerlicher Pflichten.

Handlungsempfehlung

Den am Tagesgeschäft der Gesellschaft beteiligten Akteuren, auch wenn sie Gesellschafter sind, ist vor diesem Hintergrund zu raten, die Führung von Geschäften der Gesellschaft im Außenverhältnis zu vermeiden. Gleiches gilt für Banken, die gerade in Sanierungssituationen gefährdet sind: Sie sollten den Kern der unternehmerischen und kaufmännischen Tätigkeit sowie die wirtschaftliche Selbständigkeit stets ihrem Kreditnehmer selbst überlassen und niemals selbst aktiv in die Geschäftsführung eingreifen. Anderenfalls sind diejenigen Personen, die im Außenverhältnis das Amt des Geschäftsführers tatsächlich ausüben und damit die Geschicke der Gesellschaft nachhaltig prägen, dem Risiko der umfangreichen Haftungsfolgen einer faktischen Geschäftsführung ausgesetzt.

Prof. Dr. Stephan R. Göthel