27. Mai 2016 | Stephan R. Göthel

Venture Capital- und M&A-Transaktionen sind in der Regel komplex, die damit verbundenen Verhandlungen häufig langwieriger als bei anderen Geschäften. Es ist daher ratsam, so zügig wie möglich bereits vereinbarte wirtschaftliche Eckpunkte einem möglichen späteren Streit zu entziehen und einen Fahrplan für die nächsten Etappen festzulegen. Diesem Zweck dient der Letter of Intent (Absichtserklärung), teilweise auch kurz als LoI oder alternativ als „Memorandum of Understanding“, „Term Sheet“ oder „Heads of Terms“ bezeichnet.

1. Funktionen

In aller Regel wird ein Letter of Intent gezeichnet, wenn wesentliche kaufmännische Entscheidungen getroffen, aber bislang weder juristisch im Einzelnen ausformuliert noch rechtsverbindlich niedergelegt werden können oder sollen. Er bezeichnet damit das Ende eines Transaktions- oder Verhandlungsabschnitts und den Beginn eines nächsten, wie z.B. den Übergang von Vorgesprächen in die Phase der Due Diligence, und dient dann dazu, Eckpunkte wichtiger Themen einzugrenzen und grob zu regeln. Mitunter legt er Details des künftigen Vertrags schon so umfassend und verbindlich fest, dass man bereits – über die reine Absichtserklärung hinaus – von einem Vorvertrag sprechen kann.

 

2. Inhalt

Der Inhalt eines Letter of Intent hängt naturgemäß stark von der jeweiligen Transaktion ab. Entscheidend ist auch, in welchem Verfahrensstadium sich die Transaktion befindet und inwieweit die Parteien verbindliche Regelungen wünschen. Einige typische Regelungsinhalte sind etwa:

  • Zusammenfassung der bisherigen Verhandlungsergebnisse und Bekundung der Erwerbs- oder Beteiligungsabsicht;
  • Informationen zur Transaktionsstruktur, beispielsweise Festlegung auf den Erwerb im Wege eines Share Deal oder eines Asset Deal;
  • Festlegung der für die Transaktion erforderlichen Verträge (Kaufvertrag, Beteiligungs- und Gesellschaftervereinbarung und sonstige Verträge) und möglicher erster Eckpunkte dieser Verträge;
  • Informationen zur Höhe des Kaufpreises oder des Beteiligungsbetrags, Grundlagen der Berechnung und der Zahlungsmodalitäten, wie etwa Vereinbarung eines festen oder variablen Kaufpreises, Festlegung von Meilensteinen (bedingte Auszahlungsvoraussetzungen) oder eine Abrede über ergebnisabhängige Kaufpreisanpas­sun­gen (Besserungsabrede, Earn-out);
  • Regelungen zur Durchführung der Due Diligence, wie etwa Dauer, Bereiche, Festlegung, ob physischer oder virtueller Datenraum;
  • Bestimmung des weiteren Zeitplans und des beabsichtigten Zeitpunkts des Vertragsschlusses;
  • eine Vertraulichkeitsabrede mit dem Inhalt der Verpflichtung des Verkäufers oder der Gesellschaft zur Herausgabe bestimmter vertraulicher Informationen und der Verpflichtung des Kaufinteressenten oder Investors, derartige Informationen vertraulich zu behandeln und erhaltene Unterlagen in vereinbarten Fällen zurückzugeben;
  • Einräumung einer Exklusivitätsphase, also Verankerung der Verpflichtung des Verkäufers oder der Gesellschaft, während eines bestimmten Zeitraums keine Gespräche mit einem anderen Verhandlungspartner zu führen;
  • Verpflichtung des Kaufinteressenten, während eines bestimmten Zeitraums keine Abwerbeversuche bei Mitarbeitern des zum Verkauf stehenden Unternehmens zu starten;
  • Regelung zur Kostentragung für die Verhandlungen und den Abschluss des Letter of Intent sowie darüber hinaus möglicherweise schon für die Verhand­lungen und den Abschluss aller übrigen Dokumente im Rahmen der Transaktion;
  • gegebenenfalls Vereinbarung einer Schadenspauschale oder Vertragsstrafe für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen (sog. Break-up Fee-Vereinbarung);
  • Ausmaß der Bindungswirkung des Letter of Intent;
  • Rechtswahl sowie Schieds- oder Gerichtsstandsvereinbarung.

 

3. Bindende Verpflichtungen

Haben sich die Parteien zu einem im Kern unverbindlichen Letter of Intent entschlossen, folgt daraus nicht, dass verbindliche Regelungen vollständig fehlen. Vielmehr finden sich regelmäßig einige rechtlich bindende und durchsetzbare Verpflichtungen. Häufig sind dies die Folgenden der soeben aufgeführten typischen Regelungsinhalte:

  • Vertraulichkeitsabrede;
  • Einräumung einer Exklusivitätsphase;
  • Verbot von Abwerbeversuchen;
  • Regelungen zur Kostentragung;
  • Ausmaß der Bindungswirkung des Letter of Intent;
  • Rechtswahl sowie Schieds- oder Gerichtsstandsvereinbarung.

Enthält ein Letter of Intent bindende Verpflichtungen, empfiehlt es sich ganz besonders, bereits in dieses Dokument eine Streitentscheidungsklausel aufzunehmen. Das mag angesichts des ansonsten weitgehend unverbindlichen Charakters des Letter of Intent zunächst übertrieben erscheinen Zu bedenken ist jedoch, dass bindende Verpflichtungen nur dann wirkungsvoll sind, wenn sie sich leicht und ohne formelle Schwierigkeiten durchsetzen lassen. Und nicht zu vergessen: Durch eine diesbezügliche Regelung schafft man auch in diesem Punkt schon ein Präjudiz für den endgültigen Vertrag. Aus demselben Grund sollte auch die Frage der Rechtswahl nicht übersehen werden. Zudem sollte bedacht werden, beide Klauseln wiederum selbst als verbindlich zu vereinbaren.

 

4. Praktische Hinweise

Der grundsätzlich unverbindliche Charakter eines Letter of Intent sollte nicht zu dem Schluss verleiten, dem Inhalt komme keine große Bedeutung zu. Zum einen enthält auch ein im Grundsatz unverbindlicher Letter of Intent wie ausgeführt regelmäßig bindende Verpflichtungen. Zum anderen können zumindest nach deutschem Recht auch vor Abschluss eines bindenden Vertrags Schadensersatzpflichten durch treuwidriges Verhalten begründet werden (Verletzung eines vorvertraglichen Schuld­verhältnisses bei treu­widrigem Abbruch von Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund), sofern die Parteien die Haftung nicht ausdrücklich ausschließen.

Entscheidend kommt hinzu, dass man unabhängig von den rechtlichen Ge­gebenheiten die praktische und psychologische Schwierigkeit nicht unterschätzen sollte, die sich ergibt, wenn man im Zuge der weiteren Vertragsverhandlungen versucht, Vereinbarungen durchzusetzen, die im Letter of Intent nicht oder in anderer Weise angelegt waren. Wer dies versucht, ist moralisch und psychologisch in der Hinterhand und wird regelmäßig für einen Verhandlungserfolg in derartigen Fragen einen sehr viel höheren Preis zu entrichten haben. Allen Parteien ist deshalb dringend zu empfehlen, auch den nicht einklagbaren Aspekten eines Letter of Intent größte Aufmerksamkeit und Sorgfalt zu widmen.

 

Prof. Dr. Stephan R. Göthel