29. Juni 2016 | Oliver Rossbach

Ob und wann die Briten den Austrittsmechanismus nach Artikel 50 des EU-Vertrags in Gang setzen, ist noch ebenso unklar wie die Frage, wann und in welcher Konstellation das Vereinigte Königreich und die Europäische Union ihr Verhältnis neu regeln. Diese Unsicherheit wirkt sich naturgemäß nicht nur auf Gesellschaft, Politik und Wirtschaft aus, sondern wird auch ganz erheblich die Frage beeinflussen, welchem Recht Vertragsparteien zukünftig ihre Verträge unterstellen.

Englisches Recht im Finance bislang dominierend

Das auf Verträge anwendbare Recht kann von den Parteien grundsätzlich frei gewählt werden (Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO). Gerade in internationalen Finanzierungsverträgen dominiert bislang das englische Recht. Und zwar nicht nur, weil die in unterschiedlichen Staaten domizilierten Parteien sich oftmals als Kompromisslösung auf eine „neutrale“ angesehene Rechtsordnung geeinigt haben, sondern vielfach deshalb, weil Banken sich von vornherein gern einer als liberaler geltenden Rechtsordnung unterwerfen wollten. So kann insbesondere das bei der Wahl deutschen Rechts stets präsente Damoklesschwert der AGB-Kontrolle mithilfe der Wahl englischen Rechts vermieden werden. Entscheidend war bislang ebenso die große Bedeutung Londons als internationaler Finanzplatz und bei größeren Syndizierungen die Beteiligung von Banken aus verschiedenen Ländern, die mit dem englischen Recht offensichtlich vertrauter waren.

Wahl deutschen Rechts und Gerichtsstands nunmehr ratsam

Diese starke Neigung zur Wahl englischen Rechts könnte dramatisch abnehmen. Zwar sind Veränderungen mit Auswirkung auf den Finanzplatz London und das englische Recht nicht von heute auf morgen zu erwarten. Anderseits: Erst dann zu reagieren, wenn sich Veränderungen abzeichnen, könnte gerade beim Abschluss von langlaufenden Verträgen wie Darlehensverträgen der falsche Ratschlag sein. Denn Regelungen später durch Nachträge zu ändern, ist zwar grundsätzlich jederzeit möglich, setzt aber die (nicht immer zu erlangende) Zustimmung aller Vertragsparteien voraus. Und dass es Anpassungsbedarf geben wird, sobald der Austritt des Vereinigten Königreichs (oder Teile davon) vollzogen ist, darf als sicher gelten; – weil auch das historisch nicht kodifizierte englische Recht mittlerweile von zahlreichen Regeln durchzogen ist, die auf europäischen Richtlinien beruhen oder weil europäisches Sekundärrecht in Form von Verordnungen unmittelbar Teil auch des englischen Rechts geworden ist. Ob aber ein durch den Wegfall der EU-Komponente geändertes englisches Recht dann weiterhin und an entscheidender Stelle dasjenige englische Recht ist, das die Parteien ursprünglich vereinbaren wollten, darf stark bezweifelt werden. Diese Unsicherheiten können durch die Wahl deutschen Rechts von vornherein vermieden werden.

Gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen

Unabhängig davon, inwiefern und vor allem wann das materielle englische Recht Veränderungen erfährt, ist noch ein weiterer Aspekt zu beachten: Schon bei Abschluss eines Vertrags ist zu bedenken, dass das gewählte Recht nur so gut ist, wie es sich auch im Ernstfall bewährt. Insofern ist entscheidend, wo ich mein Recht im worst case später einmal durchsetzen will (oder muss). Damit sind Fragen der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen berührt. Das wiederum sind zwar zunächst prozessuale Themen, welche die Zuständigkeit der Gerichte, den sogenannten Gerichtsstand, betreffen, die aber mit dem anwendbaren Recht aufs engste verwoben sind. Denn auch wenn es theoretisch möglich ist, für Gerichtsstand und anwendbares Recht unterschiedliche Jurisdiktionen zu wählen, vereinbaren Vertragsparteien in aller Regel einen Gerichtsstand in demjenigen Staat, dessen Recht sie für anwendbar erklären. Und dies aus gutem Grund. Denn durch diesen Gleichklang wird am ehesten der erforderliche Sachverstand des angerufenen Gerichts sichergestellt. Müsste das zuständige Gericht (z.B. ein deutsches) hingegen ein ihm fremdes ausländisches Recht (z.B. englisches) anwenden, wären zeit- und kostenintensive Sachverständigengutachten vorprogrammiert. Aus diesem Grund ist bei der Wahl englischen Rechts regelmäßig automatisch auch die Zuständigkeit englischer Gerichte vereinbart worden.

Was aber passiert, wenn sämtliche Anerkennungs- und Vollstreckungserleichterungen, die englische Urteile heute qua EU-Recht innerhalb der Mitgliedstaaten genießen, im Zuge des Austritts Englands aus der EU wegfallen? Englische Urteile wären dann plötzlich so zu behandeln wie die Urteile von Drittstaaten. Sie wären nur noch nach den strengeren Voraussetzungen der jeweiligen autonomen internationalen Zivilverfahrensrechte in den anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen und zu vollstrecken. Statt einer im EU-Recht vorgesehenen automatischen Anerkennung wäre oftmals ein zusätzliches Anerkennungsverfahren zu durchlaufen. Das kostet im Ernstfall mehr Geld, vor allem aber entscheidende Zeit. Auch dieser Aspekt spricht für die Wahl eines deutschen Gerichtsstands und – damit einhergehend – deutschen Rechts. Eine Ausnahme mag dann gegeben sein, wenn von vornherein feststünde, dass man im Ernstfall in England vollstrecken müsste.

Handlungsempfehlung

Bei der Verhandlung langlaufender internationaler Darlehensverträge dürfte in vielen Fällen eine neue Risikoeinschätzung ab jetzt eher für die Wahl deutschen Rechts und, damit einhergehend, die Wahl eines deutschen Gerichtsstands sprechen. Gleiches gilt für die wichtigen Sicherheitenverträge, soweit nicht der sogenannte lex rei sitae-Grundatz einer Rechtswahl von vornherein entgegensteht. Ob die überragende Bedeutung Londons als internationaler Finanzplatz, die das englische Recht bislang protegiert hat, in dieser Form weiterbesteht, bleibt überdies abzuwarten. Wer sich im Übrigen von den Vorzügen des deutschen Rechts überzeugen möchte, sei auf die Broschüre „Law – Made in Germany“ verwiesen.

Dr. Oliver Rossbach