28. Juni 2016 | Stephan R. Göthel

Der Schock über die Entscheidung zum Brexit sitzt tief. Denn er wird nicht nur erhebliche politische und wirtschaftliche, sondern ebenso einschneidende rechtliche Folgen nach sich ziehen. Die rechtlichen Folgen treffen natürlich die Europäische Union selbst, die ihr Rechtsverhältnis zu Großbritannien neu ordnen muss. Ebenso betroffen ist aber die Wirtschaft. So müssen beispielsweise Unternehmen nun viele Fragen in ganz unterschiedlichen Rechtsbereichen prüfen, wie etwa bei der Vertragsgestaltung, dem Markenschutz oder der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Darüber hinaus stellt sich einigen Unternehmen aber eine weitere Frage von ganz erheblicher Tragweite, nämlich die ihrer gesellschaftsrechtlichen Situation.

Der Austritt: Großbritannien hat sich am 23. Juni 2016 entschieden, die Europäische Union zu verlassen. Der Premier muss nun einen Austrittsantrag in Brüssel stellen. Nach dem EU-Vertrag wird dann die Union mit Großbritannien die Einzelheiten des Austritts verhandeln. Hierfür ist ein maximaler Zeitraum von zwei Jahren vorgesehen. Kommt es bis zu diesem Zeitpunkt zu keiner Einigung und keiner Verlängerung des Verhandlungszeitraums, scheidet Großbritannien aus der EU aus. Damit scheidet Großbritannien auch als Vertragspartner aus den europäischen Verträgen aus.

Gesellschaftsrechtlicher Status quo: In der Vergangenheit waren britische Gesellschaftsformen bei deutschen Gründern und Unternehmern beliebt, auch wenn die Schaffung der deutschen Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) britische Gesellschaften wie die Private Limited Company (kurz Limited) zurückgedrängt hat. Möglich war und ist die Gründung einer britischen Kapitalgesellschaft trotz Haupttätigkeit in Deutschland aufgrund der europäischen Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV). Diese verpflichtet EU-Mitgliedstaaten, Gesellschaften aus anderen EU-Mitgliedstaaten anzuerkennen, also insbesondere die Rechts- und Parteifähigkeit, aber ebenso Vorschriften über das Mindestkapital und die Geschäftsleiterhaftung. Auf dieser Basis werden bislang britische Gesellschaften in Deutschland anerkannt und können damit bei uns ebenso geschäftlich tätig sein wie deutsche Gesellschaften.

Gesellschafts- und haftungsrechtliche Folgen: Scheidet nun Großbritannien tatsächlich aus der EU aus, können britische Gesellschaften nicht mehr von der Niederlassungsfreiheit profitieren. Das deutsche Recht würde als Folge dessen britische Gesellschaften, die ihren tatsächlichen Verwaltungs- und Geschäftssitz in Deutschland haben, nicht mehr als solche anerkennen. Die Situation entspricht dann der von Gesellschaften aus Nicht-EU-Staaten, wie beispielsweise der Schweiz: Die Gesellschaft wird als rechtsfähige Personengesellschaft deutschen Rechts behandelt und damit als Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder offene Handelsgesellschaft. Damit bleibt sie zwar in Deutschland rechts- und parteifähig, aber die Folgen für die Gesellschafter sind einschneidend: Sie genießen nicht mehr den Schutz vor persönlicher Haftung durch eine Kapitalgesellschaft (wie bei einer Limited) und haften damit entsprechend den Regeln für deutsche Personengesellschaften persönlich und unbeschränkt für sämtliche Gesellschaftsverbindlichkeiten.

Was zu tun ist: Fällt Großbritannien aus der EU, fällt auch das Schutzschild der fehlenden Haftung. Vermieden werden kann dies nur, wenn sich die EU mit Großbritannien darauf einigt, dass trotz des Austritts die Niederlassungsfreiheit fortgelten soll, beispielsweise weil man sich auf das sog. „Norwegen-Modell“ verständigt und damit auf einen Status, den Island, Liechtenstein und Norwegen unter dem EWR-Übereinkommen genießen. Für Gesellschaften aus diesen Staaten gilt nämlich ebenfalls die Niederlassungsfreiheit.

Die Entscheidung für den Brexit ist damit für Unternehmen in einer britischen Rechtsform eine ernste Situation, insbesondere weil sich das Verhandlungsergebnis zwischen EU und Großbritannien in keiner Weise vorhersagen lässt. Die Zeit bis zum Austritt sollte dazu genutzt werden, sich über Handlungsalternativen Gedanken zu machen und sich auf den Brexit ohne rettendes Netz vorzubereiten. Denkbar wäre z.B. der Wechsel in eine deutsche Rechtsform wie die GmbH oder Aktiengesellschaft. Solange Großbritannien noch in der EU ist und damit der Niederlassungsfreiheit unterliegt, wäre ein solcher Wechsel als grenzüberschreitender Formwechsel identitätswahrend und damit ohne Auflösung und Neugründung möglich. Auch eine grenzüberschreitende Verschmelzung bietet sich an. Doch der Weg in eine deutsche Gesellschaftsform ist nicht zwingend. Mit der Europäischen Gesellschaft (SE) gibt es alternativ eine supranationale Gesellschaftsform, die in besonderem Maße den europäischen Gedanken zum Ausdruck bringt und damit ein klares Signal sendet.

Im Ergebnis bieten sich damit verschiedene Möglichkeiten an, die jedes Unternehmen im Lichte seiner konkreten Gesamtsituation prüfen muss. Die Zeit läuft. Denn mit dem Austritt von Großbritannien aus der EU dürfte für Unternehmen in britischer Gesellschaftsform die Möglichkeit von grenzüberschreitenden Struktur- und Umwandlungsmaßnahmen auf der Basis des EU-Rechts ersatzlos wegfallen.

Prof. Dr. Stephan R. Göthel