Die Rechtsform der Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea, SE) erlebt wieder neuen Aufwind. Zwischen Oktober 2014 und Juni 2015 wurden allein in Deutschland 23 neue operativ tätige SEs gegründet. Das Handelsblatt titelte daher vor kurzem „Die Entdeckung Europas“, und Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, sieht in einem Interview mit dem Handelsblatt „erst den Anfang einer Entwicklung“. Und dies zu Recht, denn die SE vereint zahlreiche Vorteile.
Europäisches Image
Sie verleiht dem Unternehmen ein europäisches Image und damit eine nach außen hervorgehobene europäische Identität. Das sendet ein deutliches Signal nach innen und außen, dass sich das Unternehmen als europäisches und nicht rein nationales Unternehmen versteht. Nach innen wirkt dieses europäische Selbstverständnis gegenüber Mitarbeitern und fördert so das Zusammenwachsen eines Unternehmens mit europäischen Standorten. Mitarbeitern kann eine integrierende Unternehmenskultur vermittelt werden. Schließlich kann das europäische Image im Wettbewerb mit asiatischen und US-amerikanischen Konzernen helfen, weil es eine gewisse Größe und Internationalität dokumentiert.
Mitbestimmung
Ein wesentliches Motiv für die SE kann zudem in den Gestaltungsmöglichkeiten bei der betrieblichen und unternehmerischen Mitbestimmung liegen. Der Einsatz einer SE erlaubt, von den geltenden Regeln für deutsche Gesellschaften abzuweichen. So kann mit den Arbeitnehmern eine Vereinbarung über die Mitbestimmung geschlossen werden. Hierbei sind die Verhandlungspartner nicht an die Mitbestimmungsregeln für deutsche Gesellschaften gebunden. Das Verhandlungsergebnis darf daher die Mindestanforderungen für eine vergleichbare deutsche Gesellschaft unterschreiten. So kann für eine SE mit mehr als 500 Arbeitnehmern oder 2.000 Arbeitnehmern sogar die unternehmerische Mitbestimmung und damit die Mitgliedschaft von Arbeitnehmern im Aufsichtsrat vollständig ausgeschlossen werden. Umgekehrt ist es denkbar, für eine SE, die keine dieser Schwellen überschreitet, eine unternehmerische Mitbestimmung zu installieren. Schaffen es die Parteien nicht, sich über eine Mitbestimmungsvereinbarung zu einigen, unterliegt die SE der Mitbestimmung, die für die Vorgängergesellschaft im Zeitpunkt der Gründung der SE gilt. Unterliegt diese Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt keiner Mitbestimmung, bleiben daher auch die SE und damit der Aufsichtsrat mitbestimmungsfrei.
Nach der Gründung der SE bleibt es grundsätzlich bei der einmal vereinbarten oder gesetzlich bestimmten Mitbestimmung. Überschreitet also beispielsweise eine mitbestimmungsfreie SE den Schwellenwert von 500 Arbeitnehmern, greift keine Drittelmitbestimmung. Ebenso wird die Gesellschaft auch keiner paritätischen Mitbestimmung unterworfen, wenn sie die Schwelle von 2.000 Arbeitnehmern übertritt.
Aufsichtsratsgröße
Vorteilhaft ist zudem, dass die für deutsche Gesellschaften vorgeschriebene Mindestgröße eines mitbestimmten Aufsichtsrats nicht für eine in Deutschland sitzende SE gilt. Beim Wechsel in die SE kann daher ein bislang bestehender Aufsichtsrat verkleinert und damit schlagkräftiger gemacht werden. Die einmal festgelegte Größe des Aufsichtsrats bleibt auch bei steigenden Arbeitnehmerzahlen unverändert.
Leitungssystem
Ein weiterer Vorteil der SE liegt darin, dass die Gesellschafter das Leitungssystem frei wählen können. Anders als bei der deutschen Aktiengesellschaft, die zwingend ein dualistisches System mit Aufsichtsrat und Vorstand verlangt, kann bei einer SE stattdessen ausschließlich ein Verwaltungsrat eingesetzt werden (monistisches System). Das kann für Gesellschaften, die bislang als GmbH organisiert sind, attraktiv sein, weil sich damit mit der SE zwar derselbe Zugang zum Kapitalmarkt öffnet wie mit der Aktiengesellschaft, aber das möglicherweise nicht gewünschte dualistische System vermieden werden kann.
Die monistische Struktur erlaubt zudem, die aus dem US-amerikanischen Raum bekannte starke Stellung eines „chief executive officer“ (CEO) einzuführen. Angesprochen ist damit die in den USA vorzufindende Gestaltung, den CEO zugleich zum Vorsitzenden (chairman) des board of directors zu bestimmen. Auf die SE bezogen ist damit gemeint, einen geschäftsführenden Direktor, der gleichzeitig Mitglied des Verwaltungsrats ist, zu dessen Vorsitzenden zu bestellen. Dadurch werden Organvorsitz und Management vereint. Diese Position kann noch dadurch gestärkt werden, dass dieser Person unter den geschäftsführenden Direktoren eine übergeordnete Stellung durch ein Alleinentscheidungsrecht eingeräumt wird.
Das monistische System bestehend nur aus einem Verwaltungsrat kann insbesondere für mittelständische Familienunternehmen interessant sein. Soll dort im Rahmen der Unternehmensnachfolge ein familienfremdes Management eingesetzt werden, dann kann der bisherige Familienmanager und Eigentümer durch eine Position im Verwaltungsrat näher am operativen Geschäft bleiben, als wenn er Mitglied eines Aufsichtsrats wird.
Sitzverlegung
Schließlich kann eine SE ihren Sitz identitätswahrend innerhalb der EU verlegen. Zwar gibt es heute auch alternative Möglichkeiten, den Sitz einer deutschen Gesellschaft in das EU-Ausland zu verlegen. Allerdings lässt sich ein solches Vorhaben tendenziell schneller bei einer SE verwirklichen.
Fazit
Die Rechtsform der SE erlebt zu Recht weiteren Aufwind. Die beschriebenen Vorteile machen sie auch für den deutschen Mittelstand und Familiengesellschaften zu einer attraktiven Gesellschaftsform. Auch wenn im Einzelfall natürlich eine Gesamtbetrachtung der konkreten Vor- und Nachteile gegenüber alternativen Strukturierungs- und Gesellschaftsformen erforderlich ist, sollte der Wechsel in eine SE in solche Überlegungen mit einbezogen werden. Zumal diese Rechtsform, auch wenn sie europäisch ist, in starkem Maße dem deutschen Recht unterliegt. Denn subsidiär zu den europäischen Regelungen gilt für eine SE mit Sitz in Deutschland das deutsche Aktienrecht. Damit bleibt beispielsweise eine deutsche AG nach einem Wechsel in die Rechtsform der SE in starkem Maße in dem ihr bekannten und geschätzten deutschen aktienrechtlichen Umfeld.