6. Februar 2022 | Team

Die Finanzierungsstruktur von jungen wachstumsorientierten Unternehmen mit innovativem Geschäftsmodell (Start-ups) zeichnet sich typischerweise dadurch aus, dass das Unternehmenswachstum nur zu einem kleinen Teil durch Eigenkapitalbeiträge der Gründer finanziert wird. Der Großteil des insbesondere in den „Early-Stage“-Finanzierungsphasen für den Geschäftsaufbau und -betrieb erforderlichen Kapitals wird von Investoren bereitgestellt, meist durch sog. Acceleratoren, Business-Angels, Family & Friends und später durch Venture Capital-Fonds. Der besondere Kapitalbedarf eines Start-ups führt regelmäßig dazu, dass die Verbindlichkeiten des Start-ups seine Vermögenswerte übersteigen.

Damit tritt eine handelsbilanzielle Überschuldung ein. Eine weitergehende insolvenzrechtliche Überschuldung mit der Folge einer Insolvenzantragspflicht kann (außerhalb einer positiven Fortführungsprognose) nur vermieden werden, indem die Forderungen der Investoren mit einem qualifizierten Rangrücktritt versehen werden und dann nicht in der Überschuldungsbilanz zu passivieren sind (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 2 InsO). Start-ups sind zudem in den Anfangsphasen ihres Geschäftsbetriebes üblicherweise auf das zukünftige Erreichen operativer Geschäftschancen ausgelegt, nicht hingegen auf das kurzfristige Erzielen von Erträgen. Es liegt auf der Hand, dass eine Finanzierungstruktur, die sich durch eine negative Eigenkapitalquote bei gleichzeitig geringer Ertragskraft auszeichnet, in erheblichem Maße krisenanfällig ist. Die Geschäftsleiter eines Start-ups sind daher – auch aus Haftungsgründen – angehalten, laufend zu prüfen, ob ein Insolvenzantrag wegen des Eintritts eines Insolvenzgrundes gestellt werden muss (§§ 15a, 15b Insolvenzordnung, InsO).

Zwingende Insolvenzgründe

Zwingende Insolvenzgründe finden sich in § 17 Abs. 1 InsO (Zahlungsunfähigkeit) und § 18 Abs. 1 InsO (Überschuldung):

  • Ein Start-up ist zahlungsunfähig im Sinne von § 17 Abs. 1 InsO, wenn es nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 InsO).
  • Überschuldung im Sinne von § 19 Abs. 1 InsO liegt hingegen vor, wenn das Vermögen des Start-ups die bestehenden und zu passivierenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Start-ups in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich (sog. positive Fortführungsprognose).

Selbstfinanzierungskraft als Bestandteil der positiven Fortführungsprognose?

Umstritten und bislang noch nicht eindeutig höchstrichterlich geklärt ist, ob die eine insolvenzrechtliche Überschuldung ausschließende positive Fortführungsprognose lediglich voraussetzt, dass das betreffende Unternehmen bis zum Ende des auf den Prognosezeitpunkt folgenden Geschäftsjahres seine fälligen Verbindlichkeiten wird erfüllen können (sog. Zahlungsfähigkeitsprognose), oder ob eine positive Fortführungsprognose zudem voraussetzt, dass das Unternehmen aus eigenen Kräften – d.h. ohne Einbeziehung von Fremdfinanzierungsquellen – in der Lage sein wird, seine fälligen Verbindlichkeiten in einem bestimmten Prognosezeitraum zu bedienen oder zumindest eine solche Selbstfinanzierungskraft kurzfristig wiederherzustellen (sog. Ertragsfähigkeitsprognose). „Early-Stage“-Start-ups, die (1.) zu einem wesentlichen Teil aus Fremdkapital – etwa aus (nicht qualifiziert nachrangigen) Wandeldarlehen (Convertible Loans) – finanziert werden und (2.) die Fortführung ihres Geschäftsbetriebs auf die Annahme stützen, dass sie auch in zukünftigen Finanzierungsrunden die erforderlichen Fremdkapitalbeiträge von Investoren einsammeln werden, würde das Erfordernis einer Ertragsfähigkeitsprognose mangels eigener (gegenwärtiger) Ertragskraft in akute Insolvenzgefahr bringen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zwar die Erzielung von Erträgen bislang noch nicht ausdrücklich zur Voraussetzung einer positiven Fortbestehensprognose gemacht, nutzt aber die Formulierung „Finanz- und Ertragskraft“ im Zusammenhang mit seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 19 Abs. 1 InsO. Dies hat in Verbindung mit Stimmen in der juristischen Literatur, die ausdrücklich eine Ertragsfähigkeitsprognose fordern, zu einiger Unsicherheit geführt.

Beschluss des OLG Düsseldorf

An dieser Stelle setzt ein Beschluss des OLG Düsseldorf vom 20. Juli 2021 (12 W 7/21) an, der Start-ups mehr Rechtssicherheit bei der Ermittlung der sog. positiven Fortführungsprognose im Rahmen einer Überschuldungsprüfung gibt. In seinem Beschluss führt das OLG Folgendes aus:

  • Bei einem Start-up Unternehmen seien die Grundsätze, die der BGH für eine positive Fortbestehensprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung aufgestellt hat, nicht uneingeschränkt anwendbar. Erforderlich sei vielmehr, dass das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage ist, seine im Prognosezeitraum fälligen Zahlungsverpflichtungen zu decken, wobei die dafür erforderlichen Mittel auch von Dritten (Fremdkapitalgebern) zur Verfügung gestellt werden könnten.
  • Habe ein finanzkräftiger Investor das Unternehmen bereits in der Vergangenheit mit erheblichen Beträgen finanziell unterstützt und seinen Willen bekundet, in der Gründungsphase bei Vorlage einer nachvollziehbaren Planung und Nachweis des Finanzbedarfs jeweils weitere Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, dürfe der Geschäftsführer von einer positiven Prognose ausgehen, solange ein nachvollziehbares operatives Konzept vorliege, das irgendwann eine Ertragsfähigkeit des Start-ups erwarten lässt, und nicht konkret wahrscheinlich ist, dass der Investor das Start-up nicht weiterfinanzieren wird. Ein rechtlich gesicherter und damit einklagbarer Anspruch auf die Finanzierungsbeiträge sei für die positive Fortbestehensprognose hingegen nicht erforderlich.

Folgen und Praxishinweise

Der Beschluss des OLG Düsseldorf bietet aufgrund seiner klaren Aussagen eine Richtschnur für Geschäftsleiter von solchen Start-ups, die aufgrund ihrer fremdkapitalbasierten Finanzierungsstruktur bilanziell überschuldet sind, und führt damit zu mehr Rechtssicherheit für die potenziell haftungsgefährdeten Geschäftsleiter (§ 15b InsO). Es wäre wünschenswert, wenn der BGH sich dieser klaren Linie bald anschlösse. Die Diskussion um den Inhalt der positiven Fortführungsprognose des § 19 Abs. 1 InsO zeigt aber auch, dass Start-ups von vornherein eine rechnerische insolvenzrechtliche Überschuldung vermeiden sollten, um gar nicht erst in die Verlegenheit zu gelangen, eine Fortführungsprognose aufstellen zu müssen. Die typische „Stellschraube“ hierfür in Darlehen, einschließlich Wandeldarlehen (Convertible Loans), und sonstigen Fremdkapitalinstrumente ist die Vereinbarung eines sog. qualifizierten Rangrücktritts gemäß § 39 Abs. 2 InsO, mit dem der qualifizierte Nachrang der Forderungen der betreffenden Investoren vereinbart wird. Genügt die Rangrücktrittsklausel bestimmten Anforderungen, müssen die betreffenden Forderungen trotz bilanzieller Überschuldung nicht im insolvenzrechtlichen Überschuldungsstatus nach § 19 Abs. 1 InsO passiviert werden. Sind Fremdkapitalgeber hingegen nicht bereit, einen qualifizierten Rangrücktritt mit der Gesellschaft zu vereinbaren – was nach der Praxiserfahrung der Autoren eher selten der Fall sein dürfte – und führt dies zu einer bilanziellen Überschuldung, wird die Geschäftsleitung des Start-ups nicht umhinkommen, die Liquiditätslage unter Beachtung der o.g. Grundsätze kontinuierlich zu überwachen und die in der Liquiditätsplanung getroffenen Annahmen sorgfältig zu dokumentieren.