17. Mai 2022 | Dr. Oliver Rossbach

Die Entwicklungen von und die Investitionen in Immobilienprojekte haben in den vergangenen mehr als 10 Jahren einen beispiellosen Boom erlebt, und zwar über nahezu alle Segmente hinweg. Das gilt gleichermaßen für die Finanzierung solcher Immobilienprojekte (Real Estate Finance). Die „Rallye“ geht so lange gut, wie die davon galoppierenden Preise durch niedrige Finanzierungskosten kompensiert werden und die Projekte ihren Kapitaldienst nachhaltig verdienen können. Daran, dass dies in Zukunft gleichermaßen gegeben sein wird, sind indes einige Zweifel angebracht: Blasenbildung bei den Preisen, steigende Baukosten, in bestimmten Märkten auch wegbrechende Miet- oder Pachteinnahmen und damit eine gefährdete Kapitaldienstfähigkeit und schließlich eine angesichts der geopolitischen Entwicklungen sich plötzlich viel schneller als erwartet vollziehende Erhöhung des derzeitigen Zinsniveaus – dies alles führt dazu, dass erstmals seit langer Zeit auch Immobilienfinanzierungen unter Druck geraten werden und sich damit für die Beteiligten Fragen aus dem Bereich der Restrukturierung ergeben. Höchste Zeit also, sich damit frühzeitig zu beschäftigen. Wir möchten daher in einer Reihe von Kurzbeiträgen die typischen Konstellationen und Handlungsmöglichkeiten vorstellen.

Folge 2: Restrukturierungsbeiträge zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit

Nachdem wir unsere Beitragsreihe mit einem Überblick über die typische Asset-Finanzierung in der Krise und die Fragen, die sich regemäßig in einer Krisensituation stellen, gestartet haben (Folge 1), skizzieren wir heute mögliche Restrukturierungsbeiträge der Gläubiger der Immobilien-Projektgesellschaft zur Beseitigung ihrer Zahlungsunfähigkeit.

Vermeidung / Beseitigung der Insolvenzantragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit

Zunächst ist wichtig festzuhalten, dass die Restrukturierung eines Immobilien-Darlehensengagements außerhalb eines Insolvenzverfahrens von vornherein nur dann gelingen kann, wenn die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens (in der Regel der Immobilien-Projektgesellschaft) – und damit die Insolvenzantragspflicht seiner Geschäftsleitung – entweder von vornherein vermieden oder zumindest kurzfristig wieder beseitigt werden kann. Denn wird ein Unternehmen zahlungsunfähig, müssen die Mitglieder seines Vertretungsorgans ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag stellen, vgl. § 15 a InsO. Gleiches gilt im Fall der Überschuldung, wobei die Zahlungsunfähigkeit der in der Praxis bedeutsamere Insolvenzgrund ist. Wer dieser Pflicht vorwerfbar nicht oder zu spät nachkommt, kann zivilrechtlich (vgl. u.a. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15 a Abs. 1 BGB) und strafrechtlich (§ 15 a Abs. 4 und 5 InsO) wegen Insolvenzverschleppung haften. Nach den gesetzlichen Regelungen liegt Zahlungsunfähigkeit im insolvenzrechtlichen Sinne immer dann vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 InsO). Dabei besteht Einigkeit darüber, dass keine Zahlungsunfähigkeit bei einer bloßen Zahlungsstockung oder bei einer nur geringfügigen Liquiditätslücke von weniger als 10 % der fälligen und ernsthaft eingeforderten Gesamtverbindlichkeiten vorliegt.

Stillhalte- und Stundungsvereinbarungen

Restrukturierungsbeiträge der Banken oder sonstiger Gläubiger zur Vermeidung oder vorübergehenden Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit einer Immobilien-Projektgesellschaft können darin bestehen, dem Unternehmen neue Liquidität zur Verfügung zu stellen oder aber dessen fällige Zahlungspflichten zu verringern. Letzteres erfolgt in der Regel durch den Abschluss von Stillhalte- oder Stundungsvereinbarungen, auch Moratorien genannt. Die darüberhinausgehende Möglichkeit, auf (Teil-) Forderungen im Wege des Erlassvertrags (§ 397 Abs. 1 BGB) zu verzichten, wird ein Gläubiger, wenn überhaupt, nur im Zusammenhang mit einer Überschuldungsvermeidung seines Schuldners ernsthaft prüfen.

Mithilfe einer Stundung wird die Fälligkeit von Zins- und/oder Tilgungsraten hinsichtlich des Immobilien-Darlehensengagements hinausgeschoben. Der Schuldner kann daher solche gestundeten – und damit zurzeit nicht fälligen – Verbindlichkeiten in der Liquiditätsplanung zur Prüfung seiner Zahlungsunfähigkeit unberücksichtigt lassen. Dasselbe Ergebnis kann dadurch erreichen werden, dass der Darlehensgläubiger sich gegenüber der kreditnehmenden Immobilien-Projektgesellschaft verpflichtet, seine fälligen Forderungen „nicht ernsthaft einzufordern“. Man spricht im Unterschied zur Stundung vom (bloßen) Stillhalten. Ein solches Stillhalten ist deshalb ausreichend, weil nach der geltenden BGH-Rechtsprechung ein Schuldner nur solche fälligen Forderungen bei der Prüfung seiner Zahlungsunfähigkeit berücksichtigen muss, die sein Gläubiger auch ernsthaft eingefordert hat. Der Unterschied zwischen Stundung (= Fälligkeit wird hinausgeschoben) und Stillhalten (= Forderung bleibt fällig, wird aber nicht ernsthaft eingefordert), wirkt sich damit lediglich zivilrechtlich aus: Bleibt eine Forderung fällig, gerät der Schuldner bei Nichterfüllung in Verzug (§ 286 BGB), so dass der Gläubiger zur Berechnung von Verzugszinsen berechtigt ist (§ 288 Abs. 1 BGB). Dies ist beim Hinausschieben der Fälligkeit durch Stundung nicht der Fall. Um Missverständnisse zu vermeiden, ist in jedem Fall dringend anzuraten, eine schriftliche Vereinbarung zu treffen, die das wirtschaftlich Gewollte eindeutig wiedergibt.

Umwandlung in einen PIK-Kredit

Wenn klar ist, dass die Immobilien-Projektgesellschaft auf absehbare Zeit Zinsen und/oder Tilgung nicht wird bezahlen können, gibt es auch die Möglichkeit, ein bestehendes Immobilien-Darlehen in einen sogenannten PIK-Kredit umzuwandeln. PIK ist die Abkürzung für „payment in kind“. Es wird vereinbart, dass die Zinsen nicht in bar entrichtet werden („payment in cash“), sondern durch eine Sachleistung, die in der Umwandlung der geschuldeten Zinsen in ein zusätzliches Darlehen besteht. Mit anderen Worten: Die während der Laufzeit eigentlich in bar zu zahlenden Zinsen werden kapitalisiert und am Ende der schon bestehenden Darlehensvaluta zugeschlagen. Die Tilgung der gesamten Darlehensvaluta erfolgt am Ende der Laufzeit des Darlehens.

Kreditlinien: Wiederöffnung, Prolongation, Erweiterung des Verwendungszwecks

Um seinem Darlehensnehmer Zugriff auf frische Liquidität zu ermöglichen, kann ein Gläubiger eine zuvor „eingefrorene“ Kreditlinie wieder öffnen. Ebenso ist es möglich, den Liquiditätsspielraum des Darlehens zu erhöhen, indem der Darlehensgeber Kreditlinien verlängert, deren Laufzeit ausläuft und die eigentlich zurückzuzahlen wären (Prolongation). Schließlich verschafft auch eine Erweiterung des ursprünglich vereinbarten Verwendungszwecks von Kreditlinien dem Kreditnehmer praktisch neue Liquidität. So beispielsweise, wenn dem Kreditnehmer gestattet wird, seine Betriebsmittellinie nicht mehr nur zur Finanzierung seines Betriebsmittelbedarfs, sondern auch zur Bezahlung von Zinsen zu verwenden.

Wann muss ein Sanierungsgutachten vorliegen?

Ebenso wie die Geschäftsleitung der insolvenzbedrohten Immobilien-Projektgesellschaft selbst sind auch dessen Gläubiger in einer Sanierungssituation ernst zu nehmenden Haftungsrisiken ausgesetzt. Sie müssen sich gegen den Vorwurf schützen, nur aus eigennützigen Gründen ihren Darlehensnehmer weiter finanziert und damit gleichzeitig andere Gläubiger über dessen Solvenz getäuscht zu haben. Um sich diesem Risiko einer Gläubigergefährdungs- und Insolvenzverschleppungshaftung nicht auszusetzen, machen Banken und andere Gläubiger ihre Sanierungsbeiträge regelmäßig von der Vorlage eines Sanierungsgutachtens nach IDW S6 abhängig, in dem ihrem Kreditnehmer eine positive Fortführungsprognose bestätigt wird. Ein solches Gutachten ist unstreitig zwingend erforderlich bei der Vergabe neuer Darlehen zu Sanierungszwecken. Aber Vorsicht: Als Vergabe eines neuen Darlehens wird teilweise nicht nur eine Darlehensauszahlung verstanden, sondern auch jede wirtschaftlich vergleichbare Handlung, durch die dem Kreditnehmer für eine befristete Zeit entweder frische Liquidität zugeführt oder durch die er von Zahlungspflichten aus dem bestehenden Kreditverhältnis befreit wird. Nach dieser weiten Auffassung könnten weitere der oben genannten Restrukturierungsbeiträge wirtschaftlich als Neukreditvergabe zu werten sein. Vieles ist noch nicht abschließend vom BGH entschieden. Unternehmen sollten daher Verständnis haben, wenn ihre Gläubiger in Zweifelsfällen die Vorlage eines Sanierungsgutachtens verlangen. Eine aussichtsreiche Restrukturierung sollte daran jedenfalls nicht scheitern.

Überbrückungs- und Sanierungskredite

Auch Überbrückungs- und Sanierungskredite dienen dazu, die Zahlungsunfähigkeit einer Immobilien-Projektgesellschaft von vornherein zu vermeiden bzw. wieder zu beseitigen. Allerdings gelten hier einige Besonderheiten.

Überbrückungskredite

Die Prüfung, ob eine Sanierung der Immobilien-Projektgesellschaft möglich ist, kann naturgemäß einige Zeit in Anspruch nehmen, insbesondere für die Erstellung eines Sanierungsgutachtens. Vielfach sind in einer solchen Situation die Geschäftsleitungsorgane wegen Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens bereits insolvenzantragspflichtig oder eine solche Antragspflicht steht kurz bevor. Die Immobilien-Projektgesellschaft ist daher dringend auf liquiditätsstützende Maßnahmen ihrer Gläubiger – in erster Linie der Banken und anderer Immobilienfinanzierer – angewiesen, um die Zahlungsfähigkeit sicherzustellen. Diesem Ziel dienen Überbrückungskredite. Es sind Kredite, die z.B. Banken einem in der Krise befindlichen Unternehmen mit der Zweckbestimmung gewähren, den für die Prüfung der Sanierungsfähigkeit erforderlichen Zeitraum zu überbrücken. Überbrückungskredite haben typischerweise eine Laufzeit von zwischen vier und zwölf Wochen. Einerseits müssen sie immer auch die Zeit abdecken, die gebraucht wird, um die der Überbrückungsfinanzierung nachfolgende Sanierungsfinanzierung zu implementieren. Andererseits muss ihre Laufzeit ebenso wie ihr Zweck begrenzt und in der Vertragsdokumentation ausdrücklich geregelt sein, damit die Geschäftsleitung der Immobilien-Projektgesellschaft, aber auch diejenige der Gläubiger, ihr mit dem Vorwurf einer Gläubigergefährdung und Insolvenzverschleppung verbundenes Haftungsrisiko begrenzen können. Überbrückungskredite werden am vereinbarten Laufzeitende sofort fällig, ohne dass es einer Kündigung bedarf. In der Regel wird ein vorheriges Kündigungsrecht zugunsten der Banken für den Fall vereinbart, dass sich das Unternehmen als nicht sanierungsfähig erweist oder daran ernsthafte Zweifel bestehen.

Sanierungskredite

Durch Sanierungskredite werden die zuvor gewährten Überbrückungskredite refinanziert. Die Laufzeit von Sanierungskrediten orientiert sich an dem Zeitraum, der in dem Sanierungsgutachten untersucht wird. Dieser beträgt in der Regel zwei Jahre. Entscheidend ist währenddessen eine enge und fortlaufende Überwachung der von der Immobilien-Projektgesellschaft umzusetzenden Sanierungsmaßnahmen. Auch Sanierungskredite werden am Laufzeitende automatisch zur Rückzahlung fällig, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Während der Laufzeit haben Banken oder andere Gläubiger immer dann ein außerordentliches Kündigungsrecht, wenn der Zweck des Sanierungskredits nicht mehr erreicht werden kann oder daran zumindest ernsthafte Zweifel bestehen. Hingegen können Gläubiger die außerordentliche Kündigung des Sanierungskredits wegen Vermögensverschlechterung nicht auf Umstände stützen, die ihnen bei der Darlehensvergabe bereits bekannt waren. Sanierungskredite werden häufig von einem Banken-Kreditkonsortium zur Verfügung gestellt. Für die an dem Konsortium beteiligten Banken bedeutet dies, dass sie die Gestaltungsrechte für ihre eigene Kreditposition nicht nach Belieben ausüben können, sondern einer Konsortialdisziplin unterworfen sind. Das zeigt sich etwa bei der Kündigung des Kredits, die in der Regel mindestens einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Konsorten, gemessen an ihrer Beteiligungshöhe, bedarf. Diese Konsortialdisziplin kann für die kreditnehmende Immobilien-Projektgesellschaft den Vorteil haben, dass einzelne Darlehensgeber, die den Darlehensvertrag kündigen möchten, sich im Zweifel nicht durchsetzen können. Andererseits bergen Unstimmigkeiten im Konsortium stets die Gefahr, dass sich die Sanierungsverhandlungen in die Länge ziehen und der Sanierungserfolg dadurch gefährdet wird.

In der Regel verlangen Banken und anderer Immobilienfinanzierer, bevor sie Überbrückungs- bzw. Sanierungskredite zur Verfügung stellen, Zugeständnisse der Immobilien-Projektgesellschaft, ihrer Gesellschafter und anderer Gläubiger. Die Verhandlungen der verschiedenen Stakeholder über ihre einzelnen Restrukturierungsbeiträge sind oftmals zäh. Insbesondere nachrangige Gläubiger und Gesellschafter fürchten, im Rahmen der Sanierung große Verluste hinnehmen zu müssen. Um hier eine Einigung zu erzwingen, wird mitunter (i) so lange nur drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt, von Unternehmensseite mit einer Restrukturierung nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) gedroht oder (ii) von vorrangigen Gläubigern damit gedroht, bei Scheitern der Restrukturierungsgespräche die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen. Das Drohpotential resultiert daraus, das in beiden Fällen die Neuordnung der Verbindlichkeiten und der Gesellschafterstruktur mithilfe eines Restrukturierungs- bzw. Insolvenzplans in bestimmten Konstellationen auch gegen den Willen der Opponenten durchgesetzt werden kann.

Wir führen diese Reihe in Kürze mit einem Beitrag zum Thema „Restrukturierungsbeiträge zur Beseitigung der Überschuldung“ fort.

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