Die Entwicklungen von und die Investitionen in Immobilienprojekte haben in den vergangenen mehr als 10 Jahren einen beispiellosen Boom erlebt, und zwar über nahezu alle Segmente hinweg. Das gilt gleichermaßen für die Finanzierung solcher Immobilienprojekte (Real Estate Finance). Die Rallye geht so lange gut, wie die davon galoppierenden Preise durch niedrige Finanzierungskosten kompensiert werden und die Projekte ihren Kapitaldienst nachhaltig verdienen können. Daran, dass dies in Zukunft gleichermaßen gegeben sein wird, sind indes einige Zweifel angebracht: Blasenbildung bei den Preisen, steigende Baukosten, in bestimmten Märkten auch wegbrechende Miet- oder Pachteinnahmen und damit eine gefährdete Kapitaldienstfähigkeit und schließlich eine sich plötzlich viel schneller als erwartet vollziehende Erhöhung des derzeitigen Zinsniveaus – dies alles führt dazu, dass erstmals seit langer Zeit auch Immobilienprojektfinanzierungen unter Druck geraten werden und sich damit für die Beteiligten Fragen aus dem Bereich der Restrukturierung ergeben. Höchste Zeit also, sich damit frühzeitig zu beschäftigen. Wir möchten daher in einer Reihe von Kurzbeiträgen die typischen Konstellationen und Handlungsmöglichkeiten vorstellen.
Folge 3: Restrukturierungsbeiträge zur Beseitigung der Überschuldung
Nachdem wir unsere Beitragsreihe mit einem Überblick über die typische Asset-Finanzierung in der Krise und die Fragen, die sich regemäßig in einer Krisensituation stellen, gestartet haben (Folge 1) und die Beitragsreihe mit einem Überblick über Restrukturierungsbeiträge zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit fortgesetzt haben (Folge 2), skizzieren wir heute mögliche Restrukturierungsbeiträge der Gläubiger der Immobilien-Projektgesellschaft zur Beseitigung ihrer Überschuldung.
Vermeidung / Beseitigung der Überschuldung
Zunächst ist wichtig festzuhalten, dass die Restrukturierung eines Immobilien-Darlehensengagements außerhalb eines Insolvenzverfahrens von vornherein nur dann gelingen kann, wenn die (insolvenzrechtliche) Überschuldung des Unternehmens (in der Regel der Immobilien-Projektgesellschaft) – und damit die Insolvenzantragspflicht seiner Geschäftsleitung – entweder von vornherein vermieden oder zumindest kurzfristig wieder beseitigt werden kann. Denn ist eine Immobilien-Projektgesellschaft überschuldet im Sinne der Insolvenzordnung, müssen die Mitglieder seines Vertretungsorgans ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag stellen, vgl. § 15 a InsO. Wer dieser Pflicht vorwerfbar nicht oder zu spät nachkommt, kann zivilrechtlich (vgl. u.a. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15 a Abs. 1 BGB) und strafrechtlich (§ 15 a Abs. 4 und 5 InsO) wegen Insolvenzverschleppung haften.
Nach den gesetzlichen Regelungen liegt Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne immer dann vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. (§ 19 Abs. 2 InsO). Für die insolvenzrechtliche Überschuldungsprüfung hat die Handelsbilanz nur indizielle Bedeutung. Unabhängig davon empfiehlt es sich in der Regel ohnehin, nicht mit der Erstellung einer Überschuldungsbilanz fortzufahren, sondern unmittelbar die Fortführungsprognose zu erarbeiten oder besser – wie von den Banken in der Regel ohnehin gefordert (vgl. oben unter III.6.) – von einem unabhängigen Berater im Rahmen eines Sanierungsgutachtens nach dem IDW S 6-Standard erarbeiten zu lassen. Nur wenn die Fortführungsprognose negativ ausfällt, muss das Management weiter prüfen und eine Überschuldungsbilanz erstellen. Diese unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von der Handelsbilanz, wie z.B. darin, dass die Aktiva mit ihren Liquidationswerten anzusetzen sind.
Forderungsverzicht mit oder ohne Besserungsschein
Restrukturierungsbeiträge der Banken oder sonstiger Gläubiger zur Vermeidung oder vorübergehenden Beseitigung der (insolvenzrechtlichen) Überschuldung einer Immobilien-Projektgesellschaft können darin bestehen, einen vollständigen oder teilweisen Forderungsverzicht (Haircut) zu erklären. Dabei handelt es sich um einen Erlassvertrag zwischen der Immobilien-Projektgesellschaft und der Bank/den sonstigen (Darlehens-)Gläubigern (vgl. § 397 BGB). Da mit dem Zustandekommen des Erlassvertrags die betreffenden Forderungen endgültig erlöschen, sind sie auf Seiten der Immobilien-Projektgesellschaft nicht mehr zu passivieren. Der betreffende Gläubiger muss sie ausbuchen. Es ist daher offensichtlich, dass ein Forderungsverzicht der für Gläubiger unattraktivste Sanierungsbeitrag ist. Sehen Gläubiger noch die Chance einer wirtschaftlichen Erholung ihres Schuldners, werden sie ihren Forderungsverzicht typischerweise mit einer sogenannten Besserungsabrede, auch Besserungsschein genannt, verknüpfen. Der Erlassvertrag steht dann unter der auflösenden Bedingung, dass bei Eintritt der vereinbarten Besserung der Vermögensverhältnisse der Immobilien-Projektgesellschaft die Erlasswirkung wieder entfällt, d.h. die Gläubigerforderung wieder auflebt. Auf zwei Dinge ist in der Praxis besonders zu achten: Erstens darauf, dass die Bedingung „Besserung der Vermögenslage“ sorgfältig definiert wird, damit die überschuldungsvermeidende Wirkung des Erlasses nicht zu früh endet. Und zweitens darauf, dass eine steuerschädliche Auflösung der Verbindlichkeit vermieden wird.
Übertragung von Verbindlichkeiten auf Dritte
Die (überschuldungsbegründenden) Verbindlichkeiten der Immobilien-Projektgesellschaft können auch dadurch reduziert werden, dass sie auf einen Dritten, z.B. die Muttergesellschaft oder einen sonstigen Prinzipal der Immobilien-Projektgesellschaft, übertragen werden, und zwar im Wege der befreienden Schuldübernahme (vgl. §§ 414 ff. BGB). Wirksamkeitsvoraussetzung ist allerdings, dass der Gläubiger der Übertragung der Verbindlichkeit zustimmt (§ 415 Abs. 1 S. 1 BGB). Aus Sicht der Gläubiger ist zudem darauf zu achten, dass sämtliche Drittsicherungsgeber der Schuldübernahme vorab zustimmen (§ 418 Abs. 1 S. 2 BGB), da ansonsten die von diesen bestellten Sicherheiten entweder erlöschen (so akzessorische Sicherheiten wie z.B. Bürgschaften, Hypotheken, Pfandrechte, § 418 Abs. 1 S. 1 BGB) oder die Drittsicherungsgeber einen Anspruch auf Rückübertragung ihrer Sicherheiten haben (so nicht akzessorische Sicherheiten wie z.B. Garantien, Grundschulden, Sicherungsübereignungen und Sicherungsabtretungen). Eine nachträgliche Genehmigung der Drittsicherungsgeber reicht hingegen nicht. In Betracht kommt auch eine Übertragung der Verbindlichkeiten im Wege der Vertragsübernahme, bei der der Erwerber vollumfänglich in die Rechtsposition des Veräußerers als Vertragspartei der betreffenden Kredit- und Sicherheitenverträge eintritt – mit allen Rechten und Pflichten (siehe hier). Schließlich ist sicherzustellen, dass die Schuldübernahme/Vertragsübernahme so ausgestaltet wird, dass sie zu einer steuerneutralen Entlastung des Schuldners führt.
Umwandlung von Krediten in Eigenkapital (Debt-Equity-Swap)
Eine weitere Möglichkeit, eine (insolvenzrechtliche) Überschuldung der Immobilien-Projektgesellschaft zu vermeiden oder zu beseitigen, ist die Durchführung eines Debt Equity Swaps. Dies bedeutet nichts anderes als der Umtausch (Swap) einer gegen die Immobilien-Projektgesellschaft gerichteten Forderung (Debt) in Anteile an diesem Unternehmen (Equity). Praktisch umgesetzt wird dieser Umtausch durch eine Sachkapitalerhöhung, bei der der Gläubiger seine gegen die Immobilien-Projektgesellschaft gerichtete Forderung als Sacheinlage in die Gesellschaft einbringt, welche sodann durch Konfusion erlischt. Der ursprüngliche Gläubiger wird also zum Gesellschafter der Immobilien-Projektgesellschaft. Da die Gesellschafterstellung zwar mit einigen Chancen, gerade in einer Krisensituation aber vor allem mit etlichen Risiken verbunden ist, werden insbesondere Banken eher zurückhaltend sein. Sie werden einen Debt Equity Swap nur dann in Betracht ziehen, wenn ihre Forderungen nicht ausreichend besichert sind und sie den Fortführungswert der Gesellschaft höher bewerten als ihren Zerschlagungswert. Für die Altgesellschafter bedeutet der Debt Equity Swap zwar eine Verwässerung ihrer Anteile, die aber verglichen mit einem ansonsten unabwendbaren Insolvenzverfahren oftmals das kleinere Übel sein dürfte.
Qualifizierter Rangrücktritt
Ebenso wie Gesellschafter des Schuldners können auch Fremdinanzierer mit ihrer Forderung im Rang hinter andere Gläubiger zurücktreten. Obwohl häufig auch als „Rangrücktrittserklärung“ bezeichnet, handelt es sich technisch um einen Schuldänderungsvertrag zwischen Gesellschaft und Gläubiger zu einem bestehenden Darlehensvertrag (vgl. § 311 BGB), der den Bestand der zurücktretenden Forderung grundsätzlich unberührt lässt. Überschuldungsvermeidende bzw. -beseitigende Wirkung hat ein solcher Rangrücktritt aber – vereinfacht – nur, wenn (i) der Gläubiger hinter die in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 InsO genannten Forderungen zurücktritt und (ii) der Rangrücktritt auch vorinsolvenzliche Wirkung hat (sog. vorinsolvenzliche Durchsetzungssperre). Nur dann sind die vom Rangrücktritt umfassten Forderungen, die in der Handels- und Steuerbilanz weiterhin als Fremdkapital zu passivieren sind, im Überschuldungsstatus nicht länger als Verbindlichkeiten zu berücksichtigen (vgl. § 19 Abs. 2 InsO). Außerdem ist eine Klarstellung dahingehend erforderlich, dass der qualifizierte Rangrücktritt Zinsen auf die zurücktretende Forderung miterfasst. Dabei muss die Formulierung des qualifizierten Rangrücktritts immer auch so ausgestaltet sein, dass steuerschädliche Buchgewinne vermieden werden.
Wir führen diese Reihe in Kürze mit einigen Sonderthemen fort.
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