Die Entwicklungen von und die Investitionen in Immobilienprojekte haben in den vergangenen mehr als 10 Jahren einen beispiellosen Boom erlebt, und zwar über nahezu alle Segmente hinweg. Das gilt gleichermaßen für die Finanzierung solcher Immobilienprojekte (Real Estate Finance). Die Rallye ging so lange gut, wie die davon galoppierenden Preise durch niedrige Finanzierungskosten kompensiert werden und die Projekte ihren Kapitaldienst nachhaltig verdienen konnten. Diese Zeiten sind vorbei: Blasenbildung bei den Preisen, gestiegene Baukosten, in bestimmten Märkten auch wegbrechende Miet- oder Pachteinnahmen und damit eine gefährdete Kapitaldienstfähigkeit und schließlich eine sich plötzlich viel schneller als erwartet vollziehende Erhöhung des Zinsniveaus – dies alles hat dazu geführt, dass seit langer Zeit auch Immobilienprojektfinanzierungen unter Druck geraten und sich damit für die Beteiligten Fragen aus dem Bereich der Restrukturierung und Insolvenz ergeben. Wir stellen daher in einer Reihe von Kurzbeiträgen die typischen Konstellationen und Handlungsmöglichkeiten dar.
Folge 6: Kalte Zwangsverwaltung
Nachdem wir unsere Beitragsreihe mit einem Überblick über die typische Asset-Finanzierung in der Krise und die Fragen, die sich regemäßig in einer Krisensituation stellen, gestartet haben, die Reihe mit einem Überblick über Restrukturierungsbeiträge zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit (Link) und zur Beseitigung der Überschuldung (Link) fortgesetzt haben, die Besonderheiten bei Sanierungs- und Überbrückungskrediten dargestellt (Link) und den Verkauf notleidender Kredite (Non-performing Loans, NPL) thematisiert haben (Link), stellen wir heute die sogenannte kalte Zwangsverwaltung als Handlungsoption vor.
Der Ausgangspunkt: Aufeinandertreffen von Grundpfandrecht und Insolvenz
Außerhalb einer Insolvenz kann ein Gläubiger, dessen Forderung durch ein Grundpfandrecht (Hypothek oder Grundschuld) besichert ist, durch Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung (§§ 1147, 1192 Abs. 1 BGB, §§ 866, 869 ZPO, §§ 15 ff., 146 ff. ZVG) Befriedigung aus dem Grundstück suchen. – In der Insolvenz des Grundpfandschuldners gilt grundsätzlich nichts anderes (§ 49 InsO). Die Vollstreckung in einen massezugehörigen Gegenstand kann allerdings die Verwertungs- oder Sanierungsbemühungen des ebenfalls verwertungsberechtigten Insolvenzverwalters (§ 165 InsO) stören. Umgekehrt kann der Insolvenzverwalter unter bestimmten Voraussetzungen die Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen der absonderungsberechtigten Gläubiger bewirken (§§ 30 d, 153 b ZVG). In einem solchen Fall haben wiederum die absonderungsberechtigten Gläubiger einen Anspruch gegen die Insolvenzmasse auf Kompensation ihrer Nachteile.
Kalte Zwangsverwaltung als Alternative
Um die mit diesem gegenseitigen Störpotenzial verbundenen Nachteile zu vermeiden, hat die Praxis bereits im 19. Jahrhundert die sogenannte kalte Zwangsverwaltung entwickelt. Danach schließen der Absonderungsberechtigte und der Insolvenzverwalter einen Vertrag, auf dessen Grundlage der Insolvenzverwalter einen Teil der Miet- und Pachterlöse des Grundstücks an den absonderungsberechtigten Gläubiger auskehrt und dieser im Gegenzug verpflichtet ist, das Betreiben der regulären Zwangsvollstreckung zu unterlassen. Der Begriff „kalte Zwangsverwaltung“ ist somit höchst irreführend. Denn es handelt sich gerade nicht um eine Zwangsverwaltung, sondern vielmehr um eine vertragsbasierte Alternative zur Zwangsverwaltung mit dem Ziel, eine gesetzliche Zwangsverwaltung zu vermeiden.
Vor- und Nachteile
Der entscheidende Vorteil einer kalten Zwangsverwaltung besteht darin, dass sie den absonderungsberechtigten Gläubigern gemeinsam mit dem Insolvenzverwalter ermöglicht, ein ganzheitliches, flexibles Verwertungskonzept zu verwirklichen, wie es in dieser Form im Rahmen der Zwangsverwaltung nicht möglich wäre. Dies gilt sowohl für den Fall der Fortführung des Gewerbebetriebs auf dem grundpfandrechtlich belasteten Grundstück als auch für eine angestrebte freihändige Veräußerung des Grundstücks. Zudem bietet die kalte Zwangsverwaltung die Möglichkeit der Massemehrung, da nur ein Teil der Erlöse aus dem Weiterbetrieb an die Absonderungsberechtigen ausgekehrt wird. Schließlich lassen sich auch die gesetzlich festgelegten Zwangsverwaltungsgebühren vermeiden.
Andererseits ist auch die kalte Zwangsverwaltung nicht umsonst zu haben. Zu nennen sind hier vor allem die aufgrund der Weiterführung des Gewerbetriebs erhöhten Gebühren des Insolvenzverwalters sowie die Kosten für die Instandhaltung und Investitionen in die Immobilie. Diese Kosten entstehen zwar unmittelbar der Insolvenzmasse, sind aber letztlich von den Absonderungsberechtigten zu tragen. Diese steuern überdies regelmäßig einen frei verhandelbaren Massekostenzuschuss bei. Zudem tragen sie Kostenrisiken, die sich aus dem Weiterbetrieb ergeben können. Schließlich kann es Störfeuer von nachrangigen Grundpfandrechtsgläubigern geben, die es auf eine sogenannte Lästigkeitsprämie abgesehen haben. Steuerliche Risiken sind ebenfalls zu beachten.
Handlungsempfehlung
Wenn sich die Parteien nach Abwägung aller Vor- und Nachteile im Einzelfall für eine kalte Zwangsverwaltung entschieden haben, ist auf ihre professionelle vertragliche Umsetzung höchste Sorgfalt zu verwenden. Der Vertrag sollte zumindest regeln: (1) die Dauer der kalten Zwangsverwaltung, (2) die Kostentragung, (3) die Auskehr der Erlöse aus dem Weiterbetrieb, (4) die Höhe der bei der Masse verbleibenden Erlöse, (5) die Verpflichtung der Absonderungsberechtigten, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu unterlassen, (6) die Rechnungslegung des Insolvenzverwalters, (7) die freihändige Veräußerungsmöglichkeit des Insolvenzverwalters, (8) seine Vergütung sowie ggf. (9) die Behandlung steuerlicher Fragen.
Immer aber ist darauf zu achten, dass die Grenze der Insolvenzzweckwidrigkeit nicht überschritten wird. Danach ist die kalte Zwangsverwaltung immer dann unzulässig, wenn die beteiligten absonderungsberechtigten Gläubiger auf Kosten der nichtabsonderungsberechtigten Gläubiger mehr erhalten, als sie im Rahmen einer regulären Zwangsverwaltung erhalten würden.
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