25. Januar 2023 | Team

Die Entwicklungen von und die Investitionen in Immobilienprojekte haben in den vergangenen mehr als 10 Jahren einen beispiellosen Boom erlebt, und zwar über nahezu alle Segmente hinweg. Das gilt gleichermaßen für die Finanzierung solcher Immobilienprojekte (Real Estate Finance). Die Rallye geht so lange gut, wie die davon galoppierenden Preise durch niedrige Finanzierungskosten kompensiert werden und die Projekte ihren Kapitaldienst nachhaltig verdienen können. Daran, dass dies in Zukunft gleichermaßen gegeben sein wird, sind indes einige Zweifel angebracht: Blasenbildung bei den Preisen, gestiegene Baukosten, in bestimmten Märkten auch wegbrechende Miet- oder Pachteinnahmen und damit eine gefährdete Kapitaldienstfähigkeit und schließlich eine sich plötzlich viel schneller als erwartet vollziehende Erhöhung des Zinsniveaus – dies alles führt dazu, dass erstmals seit langer Zeit auch Immobilienprojektfinanzierungen unter Druck geraten und sich damit für die Beteiligten Fragen aus dem Bereich der Restrukturierung ergeben. Wir möchten daher in einer Reihe von Kurzbeiträgen die typischen Konstellationen und Handlungsmöglichkeiten vorstellen.

Folge 5: Kreditverkäufe (NPL-Deals)

Nachdem wir unsere Beitragsreihe mit einem Überblick über die typische Asset-Finanzierung in der Krise und die Fragen, die sich regemäßig in einer Krisensituation stellen, gestartet haben, die Reihe mit einem Überblick über Restrukturierungsbeiträge zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit und zur Beseitigung der Überschuldung fortgesetzt haben und die Besonderheiten bei Sanierungs- und Überbrückungskrediten dargestellt haben, möchten wir heute denn Verkauf notleidender Kredite (Non-performing Loans, NPL) thematisieren.

Der Markt für NPL-Deals

Das NPL-Barometer 2022 der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing e.V. (BKS) und der Frankfurt School of Finance and Management weist für dieses Jahr die Erwartung eines signifikanten Anstiegs notleidender Kredite aus. Bezieht sich die damalige Erwartung in erster Linie auf Kredite an Konsumenten und KMU, so wird angesichts der aktuellen Entwicklungen (insbesondere Bau- und Finanzierungskostensteigerungen) auch die Zahl notleidender Kredite im Bereich der gewerblichen Immobilienfinanzierung deutlich zunehmen. Einerseits werden Immobilienfinanzierer vermehrt unter Druck geraten, sich von notleidenden gewerblichen Immobilienkrediten zu trennen; andere werden möglicherweise aus strategischen Gründen ihr Immobilienkreditportfolio abbauen wollen. Andererseits sind Investoren, deren Markt über reichlich Liquidität verfügt, auf der Suche nach profitablen Einstiegsmöglichkeiten. NPL-Transaktionen können daher für beide Seiten vorteilhaft sein:

  • Immobilienfinanzierer können ihre Kapitalkosten für notleidende Kredite schnell und einfach reduzieren, den zunehmenden Kostendruck auf interne Abwicklungsteams verringern und sich wieder auf ihre Kernaktivitäten konzentrieren.
  • Investoren können vom Kauf von Immobilien mit Erholungs- / Entwicklungspotenzial zu günstigen Preisen profitieren.

Dass die zunehmende Marktrelevanz von NPL-Transaktionen auch beim EU-Richtliniengeber angekommen ist, zeigt sich z.B. in der bis zum 29. Dezember 2023 durch die EU-Mitgliedstaaten umzusetzende EU-Richtlinie 2021/2167 vom 24. November 2021 über die Regulierung/Zulassung von Kreditdienstleistern und Kreditkäufern, die geeignete Rahmenbedingungen schaffen soll, um Kreditinstituten einen angemessenen Umgang mit notleidenden Krediten in ihren Bilanzen zu ermöglichen und das Risiko eines künftigen Anhäufens notleidender Kredite zu verringern. Zudem hat die Europäische Kommission jüngst für die NPL-Transaktionspraxis „Leitlinien für die bestmögliche Ausführung von Verkäufen notleidender Kredite auf Sekundärmärkten“ veröffentlicht. Ziel der Leitlinien ist es, NPL-Transaktionen auf den Sekundärmärkten der EU mit Verfahrensstandards zu fördern, insbesondere im Hinblick auf Marktakteure, die weniger Erfahrungen mit Sekundärmarkttransaktionen haben.

Die rechtliche Situation

Immobilienfinanzierer können ihre Kreditrisiken auf dem Kapitalmarkt synthetisch durch Credit Default Swaps (CDS) auslagern; oder sie können ihr Kreditengagement physisch verkaufen (True Sale). Werden Kreditrisiken im Wege des True Sale übertragen, kommen für die dingliche Übertragung der Kreditforderungen zwei Möglichkeiten in Betracht: Abtretung oder Vertragsübernahme. Die Praxis scheint oftmals vorschnell zur Abtretungslösung zu neigen, obwohl die mit ihr einhergehenden Rechtsrisiken durch die Wahl der Vertragsübernahme vermeidbar wären. Aber auch im Falle der Abtretungsvariante gibt es Möglichkeiten der Risikoreduzierung (siehe zum Ganzen unseren Fachbeitrag in der Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht (BKR 2021, 753 – 760). Bei einer Due-Diligence-Prüfung der relevanten Finanzierungsverträge dahingehend, ob eine bzw. welche Art einer True Sale-Transaktion in Betracht kommt, sollten insbesondere die folgenden Punkte beachtet werden:

  • Erfordert die Abtretung oder die Übertragung im Wege der Vertragsübernahme die Zustimmung des Kreditnehmers und wenn ja, hat der Kreditnehmer seine Zustimmung erteilt?
  • Erfordert die Abtretung oder die Übertragung im Wege der Vertragsübernahme im Falle eines Konsortialkredits die Zustimmung aller oder der Mehrheit der Konsortialmitglieder, und wenn ja, wurde die erforderliche Zustimmung erteilt?
  • Verstößt die verkaufende Bank gegen das Bankgeheimnis bzw. verstößt der verkaufende Finanzierer gegen Vertraulichkeitsvereinbarungen, wenn sie/er Informationen an den Käufer weitergibt?
  • Ist im Falle dritter Sicherungsgeber/Vertragspartner deren Zustimmung erforderlich, und wenn ja, haben sie diese erteilt?

Über Pier11:

Pier11 ist eine Anwaltsboutique mit Standort in Hamburg, die auf die Bereiche Corporate, M&A, Private Equity/Venture Capital sowie Finance/Restructuring und Regulatory spezialisiert ist. Die Kanzlei berät deutsche und ausländische Unternehmen aus den verschiedensten Branchen, vom Gründer bis zum Marktführer, sowie Banken, Investoren, Projektentwickler und Family Offices.

Kontakt: oliver.rossbach@pier11.de; martin.fornoff@pier11.de